So geht es dem Zeller Opfer des Mannheimer Messerangriffs
Auf den Videos, die am 31. Mai um die Welt gingen, ist Konrad Schneider nur eine Randerscheinung. Kurz ist der 54-Jährige zu sehen, wie er sich am am Pavillon der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) auf dem Mannheimer Marktplatz mit einem Passanten unterhält. Wenig später stürzt sich der kräftige Mann im blauen Pullover des Vereins, der sich nach eigenen Angaben der „Bewahrung christlich-jüdischer Kultur in Deutschland und Europa und der Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet“ fühlt, auf den am Boden liegenden Sulaiman A.. Der 25 Jahre alte Afghane hat kurz zuvor den Vorsitzenden des Vereins, Michael Stürzenberger, mit einem Messer angegriffen.
"Ich habe Schreie gehört, mich umgedreht und bin hingerannt", erinnert sich Schneider. "Wie eine Ameise" sei der Angreifer auf dem Rücken gelegen. "Ich wollte ihn mit dem Knie unten halten, habe aber nicht erkannt, dass er ein Messer in der Hand hat", sagt Schneider, der an diesem Tag wieder einmal als ehrenamtlicher Ordner und Aufbauhelfer für die BPE im Einsatz ist. Das nächste, was er spürt, ist, wie Flüssigkeit seine Seite hinabrinnt. "Mein erster Gedanke war: da läuft Wasser raus." Doch der mutmaßlich islamistische Terrorist hat mit seinem Messer die Baucharterie des Zell am Harmersbachers getroffen und schneidet ihm mit einer weiteren ausholenden Bewegung tief in die Wade.
Vorsichtig krempelt Konrad Schneider seine Hose hoch, zeigt die tiefe Narbe. Auch fünf Monate nach dem Angriff, bei dem der mutmaßliche Terrorist den Polizisten Rouven Laur getötet hat, kämpft der 54-Jährige mit Folgen des Attentats. Psychisch und physisch. Das Treppensteigen bereitet ihm trotz mehrwöchiger Reha Probleme, hinzu kommt die Angst, erneut Opfer zu werden. "Wenn ich bestimmte Leute auf der Straße sehe, schaue ich genauer hin, obwohl ich zunächst immer vom Guten ausgehen und keine Klischees bedienen will, bin ich furchtbar vorsichtig geworden", sagt Schneider, der sich seit 2022 bei der 2008 gegründeten Bürgerbewegung engagiert.
"Kein Menschenfeind"
Auf deren Vorstandsmitglied, den wegen Volksverhetzung verurteilten Michael Stürzenberger, lässt Schneider nichts kommen: "Das ist ein ganz toller, lieber und demokratischer Bürger, aber sicher kein Menschenfeind." Der Zell am Harmersbacher kritisiert deshalb, dass er und die vier anderen bei dem Attentat schwer verletzten Menschen in der bisherigen Berichterstattung kaum eine Rolle spielten. "Wir sind keine bösen Menschen, sondern aufrechte, neutrale Bürger, die über eine Gefahr aufklären wollen." Mit Gefahr meint er die des "politischen Islams". Dieser habe "überall dort, wo er dauerhaft Fuß gefasst hat, alle angestammten Kulturen und Religionen an den Rand gedrängt", heißt es in einem Flugblatt der BPE, deren bayerischer Landesverband vom dortigen Verfassungsschutz als islamfeindlich beobachtet wird.
"Wir wurden ständig bedroht", blickt Schneider zurück auf Veranstaltungen der BPE in Gelsenkirchen, Wuppertal und Bonn, wo Stürzenberger 2022 durch Faustschläge verletzt wurde. "Als Ordner stehen wir zwischen Stürzenberger und wütenden Bürgern." Er habe deshalb immer damit gerechnet, "dass irgendwann ein Spinner kommt und auf uns einsticht". Aber er habe sich einigermaßen sicher gefühlt, auch durch die Anwesenheit vieler Polizisten.
Möchte Höchststrafe
Gut eine Stunde nach dem Angriff und erstversorgt durch Polizisten, wird Konrad Schneider am 31. Mai in die Uniklinik Heidelberg eingeliefert. Eine Not-OP, fünf weitere Operationen und eine Reha folgen. Ärzte berichten dem schwer Verletzten von starkem Blutverlust und einer Reanimation. "Es war wohl ziemlich knapp." Seine 16 Jahre alte Tochter und seine Frau erfahren erst in der Nacht von Polizisten, was dem 54-Jährigen zugestoßen ist. "Papa, zu den Veranstaltungen gehst du nicht mehr hin", habe seine Tochter Wochen später ihn gebeten. Konrad Schneider hat genickt: "Wenn, dann nur noch als Zuschauer."
Beim Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter wird der Zell am Harmersbacher als Nebenkläger auftreten. "Ich möchte, dass er wegen Polizistenmord die Höchststrafe von 15 Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung erhält", sagt Schneider. Eine mögliche Abschiebung nach Afghanistan sieht er kritisch: "Dort wird er für die Tat gefeiert und kommt vielleicht wieder zurück nach Deutschland."
Landesopferbeauftragter: "Es gibt sehr viele Angebote"
Seine Erwerbsunfähigkeitsrente hat Konrad Schneider nach eigenen Angaben vor dem Anschlag mit dem Auffüllen von Getränkeautomaten aufgebessert. Diesen Nebenjob könne er aufgrund seiner Verletzungen nicht mehr ausüben. Kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus habe sich der Opferbeauftragte des Landes bei ihm gemeldet. Gemeinsam habe man "drei oder vier Anträge ausgefüllt". Bisher habe er aber "noch keinen Cent gesehen".
Alexander Hauser, Leiter der Geschäftsstelle des Landesopferbeauftragten Alexander Schwarz, bestätigt die Kontaktaufnahme. Zu einzelnen Maßnahmen dürfe man aber keine Auskunft geben. Generell fungiere die Geschäftsstelle als zentrale Anlaufstelle für Opfer, verwalte jedoch selbst keine Fonds oder Gelder. "Die Opferhilfelandschaft ist zerklüftet", sagt Hauser. Es gebe kommunale, kirchliche und staatliche Institutionen, die sich um Opfer kümmerten. "Es gibt sehr viele Angebote, aber man muss sie nutzbar machen."
Seit ihrer Einrichtung im September 2020 habe sich der Opferbeauftragte um die Opfer dreier "herausragender Ereignisfälle" gekümmert: Der Amoklauf 2022 in der Uni Heidelberg, die Ermordung eines Schülers in der Offenburger Waldbachschule vor einem Jahr und der Messerangriff am 31. Mai in Mannheim. Letzterer werde als terroristisch-extremistische Straftat gewertet. Außerdem kümmere sich die Geschäftsstelle als Opferlotse jährlich um eine dreistellige Zahl an Fällen. ⇒all