Zuerst wurden Zuckerrüben weich, dann Kartoffeln, nun sind Zwiebeln, Sellerie, Rote Beete, Kohl, Möhren sowie teils Rhabarber und Paprika betroffen: Die über eine Zikadenart verbreitete Pflanzenkrankheit Stolbur bedroht nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes die Landwirtschaft. Vor allem in Süddeutschland gelte sie als "ernste Bedrohung" für die Versorgung mit heimischen Kartoffeln, Gemüse und Zucker, so das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium. Die Schäden gehen nach Schätzung des Landesbauernverbandes allein im Land "in die Millionen".

Was geschieht mit dem Gemüse?

Das Bakterium Candidatus Phytoplasma solani wird durch Stiche der Schilf-Glasflügelzikade auf Pflanzen übertragen, die verursachte Krankheit wird Stolbur genannt. Infizierte Bestände welken, Wurzeln und Knollen werden gummiartig. Der Ertrag sinkt, Geschmack und Qualität leiden, etwa durch geringeren Zuckergehalt. Bei starkem Befall können Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse nicht verarbeitet und gelagert werden. Stolbur und die auch von Zikaden übertragene Krankheit SBR (Syndrom der niedrigen Zuckergehalte) sorgen für hohe Ertrags- und Qualitätsverluste. Allein bei Zuckerrüben stieg die betroffene Fläche von 40.000 Hektar 2023 auf mindestens 75.000 Hektar 2024. Das entspricht laut Bauernverband rund einem Viertel der deutschen Anbaufläche.

Ist die heimische Kartoffel bedroht?

Kartoffeln zählen zu den wenigen Lebensmitteln, mit denen sich Deutschland weitgehend selbst versorgen kann. Nach Angaben der Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft (UNIKA) sind derzeit rund 65.000 Hektar als Regionen eingestuft, in denen Schilf-Glasflügelzikaden vorkommen und Kartoffeln infizieren können. Das entspricht knapp einem Viertel der gesamten Anbaufläche des Grundnahrungsmittels in Deutschland, wie Verbandsgeschäftsführer Sebastean Schwarz sagt. Ob und wie sich die Zikade verbreitet, hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter der Witterung. Im wärmeren Süden ist sie bereits ein großes Problem: Welke Kartoffeln werden seit 2024 vermehrt gefunden – etwa von Karlsruhe bis zur Hohenloher Ebene sowie von Heilbronn über Ludwigsburg bis Stuttgart.

Wo treibt die Zikade ihr Unwesen?

Das Insekt hat sich dem Deutschen Bauernverband zufolge von Baden-Württemberg über Rheinland-Pfalz, Bayern und Hessen in Deutschland ausgebreitet. Inzwischen sind auch Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt betroffen. Der Südwesten ist in Bezug auf die Ausbreitung und wirtschaftlichen Folgen laut Landesbauernverband am stärksten betroffen. Nach Beobachtung des baden-württembergischen Landwirtschaftsministeriums kommt der Schädling insbesondere dort vor, wo sich Anbauregionen von Zuckerrüben, Kartoffeln und Gemüse überlagern.

Was bedeutet das für Verbraucher?

Nach Angaben der Verbände und Behörden gibt es keine Hinweise, dass Stolbur für den Menschen gesundheitsschädlich sein könnte. Auch kommen Kartoffeln und Gemüse mit gummiartiger Konsistenz oder bei Fäulnisanzeichen erst gar nicht in den Handel. Breitet sich die Krankheit weiter aus, könnten Verbraucher im Herbst weniger heimische Kartoffeln bekommen.

Was sind die Folgen für Landwirte?

Die Ausbreitung des Schädlings beschert den Bauern große Verluste bis hin zum Totalausfall. Betroffene Kartoffeln und Gemüse werden nicht abgenommen, Pflanzgut kann nicht verwendet werden. Schaden entsteht zudem durch erhöhten Sortieraufwand und die nötige Entsorgung. Allein in Baden-Württemberg gab es dem Landesbauernverband zufolge im vergangenen Jahr in allen relevanten Rübenanbaugebieten Ertragsverluste von bis zu 25 Prozent, im Kartoffelanbau bis zu 70 Prozent. "In einigen Betrieben steht der Fortbestand des Anbaus infrage", so eine Sprecherin. Die Krankheit entwickle sich zu einem ernsthaften wirtschaftlichen Risiko für ganze Regionen.

Warum ist Stolbur so bedrohlich?

Die Pflanzenkrankheit ist schon länger bei Zuckerrüben bekannt. Neu ist, dass nun neben Kartoffeln vermehrt anderes Gemüse befallen wird. Zugleich gibt es nach Angaben von UNIKA keinen wirksamen Schutz gegen den Schädling. Und das Klima begünstigt die Ausbreitung. Denn Zikaden fühlen sich in warmen Frühsommern und Sommern besonders wohl und vermehren sich dann massenhaft. "Die Zikaden werden von dem Klimawandel begünstigt", stellt das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium fest. Durch das massenhafte Auftreten der Zikaden von Mitte Mai bis Ende August könnten demnach weitere Kulturpflanzen in Regionen mit Rübenanbau infiziert werden.

Was ist zu tun?

Weil Notfallzulassungen, Fruchtfolgeanpassung oder Bodenbearbeitung kaum helfen, fordern Bauern von der Politik schnelles Handeln: "Es ist zwingend notwendig, dass effektive Mittel zur Bekämpfung der Zikaden eingesetzt werden dürfen", sagt Bauernverbandschef Joachim Rukwied. Zudem wollen Bauern Forschung zur Resistenzzüchtung.

Susanne Kupke-Flohr