Wieder antisemitische Parolen im Elsass entdeckt
Vor gut zwei Wochen wurden 96 Gräber auf dem jüdischen Friedhof in Quatzenheim nordwestlich von Straßburg mit Hakenkreuzen verschmiert. Nun ist es zu weiteren antisemitischen Akten im Elsass gekommen. Das Problem scheint aber ein landesweites zu sein. Die französische Regierung will nun handeln
Fünf Hakenkreuze wurden heute, Montag, gegen 9 Uhr auf den Mauern der früheren Synagoge des elsässichen Dorfes Mommenheim gefunden. Wie die Straßburger Tageszeitung »Dernières Nouvelles d’Alsace« meldete, wurde eine violette Farbe für die Inschriften verwendet, wobei sich drei Hakenkreuze auf der Fassade und zwei auf einer Seitenmauer befinden. Der Komplex wird heute als Sportanlage genutzt.
Mommenheim liegt in der Nähe von Brumath – rund 25 Kilometer im Nordwesten Straßburgs. Der Bürgermeister des Ortes, die Polizei von Brumath und weitere Spezialisten waren vor Ort, um Ermittlungen aufzunehmen. Die Gemeinde reichte am Montag Klage ein, wobei die Täter – zunächst zumindest – unbekannt waren.
Beim Straßburger Kindergarten im Viertel Conseil des XV wurde ebenfalls am Montag ein Schriftstück antisemitischen Charakters gefunden. Das Dokument im Din-A-4-Format war beim Personaleingang in der Rue de Rotterdam – unweit der Fremdenlegion – befestigt worden. Der Straßburger Oberbürgermeister Roland Ries besuchte noch am Vormittag mit einer Vertreterin der Schulbehörde den Kindergarten. Auch in diesem Fall wurde Ermittlungen eingeleitet.
Für Entsetzen hatte schon zwei Tage zuvor ein antisemitischer Vorfall gesorgt. Am vergangenen Samstagmorgen wurde entdeckt, dass eine Gedenkstele, die im Straßburger Zentrum an der Stelle stand, an der einst die 1940 von den Nazis zerstörte große Synagoge errichtet worden war, mit Gewalt aus der Verankerung gerissen wurde.
»Es handelt sich um einen antisemitischen Aktion, dieses Mal mitten in Straßburg«, erklärte Ries. Auch der Straßburger Präfekt Jean-Luc Marx, Saïd Aalla, Präsident der großen Moschee von Straßburg, und weitere Vertreter des öffentlichen Lebens zeigten ihre Trauer und Empörung. Man müsse alles dafür tun, um derartigen Umtrieben möglichst bald ein Ende zu setzen. Bereits am Samstagnachmittag war die Stele wieder an ihren angestammten Platz gestellt worden. Der Ort befindet sich neben dem großen Einkaufszentrum Place des Halles. Wegen des Vorfalls hatte es am Sonntag eine Solidaritätsveranstaltung gegeben.
Jugendfeindliche Vorfälle nehmen zu
Seit Wochen gehen in ganz Frankreich Menschen gegen den wachsenden Antisemitismus auf die Straße. Um knapp drei Viertel ist die Zahl judenfeindlicher Vorfälle im vergangenen Jahr in Frankreich gestiegen: auf 541, wie das Innenministerium jüngst mitteilte. Und am laufenden Band erschüttern neue Schlagzeilen die Franzosen: Am Rande einer «Gelbwesten»-Demo wurde der Intellektuelle Alain Finkielkraut als «dreckiger Zionist» beschimpft. Unbekannte übersprühen in Paris Porträts der Politikerin und Holocaust-Überlebenden Simone Veil. Teilnehmer der «Gelbwesten»-Proteste zeigen in der Hauptstadt den Hitlergruß.
Auch Frankreichs Regierung sucht nach Antworten auf diese Frage - und nach Lösungen. Staatspräsident Emmanuel Macron kündigte jüngst Maßnahmen an: Seine Regierung will ein Gesetz vorbereiten, mit dem der Hass im Internet bekämpft werden soll. Vorbild ist eine deutsche Regelung. Außerdem verkündete Macron, dass drei rechtsextreme Gruppen in Frankreich aufgelöst werden sollen.
«Bastion Social»
Eine davon ist die «Bastion Social», eine Gruppierung, die sich auf die Ideen der «Identitären Bewegung» stützt. Sie schlägt Alarm gegen den angeblichen «großen Bevölkerungsaustausch» und warnt vor dem Ende der westlichen Kultur. Ein wichtiges Standbein hat die ursprünglich aus Lyon stammende Bewegung im Elsass.
Der Vorsitzende der Gruppe, Valentin Linder, gibt sich unbeeindruckt vom drohenden Verbot seiner Bewegung. Ideen könne die Regierung schließlich nicht verbieten, sagt der 24-Jährige. «Wir müssen nur die Fahne ändern.» Knapp zwei Wochen lang hatten Anhänger der «Bastion Social» zwei alte Häuser im elsässischen Entzheim besetzt - in einem sollten «Franzosen in Not» untergebracht worden, das andere sollte vor dem angeblich drohenden Abriss geschützt werden. Die Fahne der Bewegung - ein Turm, aus dem Blitze hervorschießen - hing bis zuletzt vom Vordach des einen Hauses. Am Freitagabend wurden die Gebäude laut Präfektur geräumt.
Seine Bewegung in Zusammenhang mit der wachsenden Judenfeindlichkeit zu bringen, sei falsch, sagt Linder. Die Gruppe sei nicht antisemitisch, sondern «national-revolutionär» und antizionistisch. Macron sei wohl auf der Suche nach einem Sündenbock.
Ultrarechte Bewegungen
Experten sehen aber gerade ultrarechte Bewegungen als einen Grund für das Erstarken der Judenfeindlichkeit. Da sei zwar einerseits der bereits etablierte islamistische Antisemitismus, sagt Frédéric Potier, Antisemitismus-Beauftragter der französischen Regierung, in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP. Befeuert habe den Anstieg 2018 aber das Wiederaufleben einer extremen Rechten, die äußerst selbstbewusst auftrete. Betroffen sei derweil nicht nur Frankreich, sondern auch etwa Italien oder die USA.
«Wir wohnen dem Wiedererstarken eines traditionellen Antisemitismus bei», sagt auch der Historiker Marc Knobel in einem Gespräch mit der Zeitung «Libération». So sei wieder von der angeblichen Verbindung «Juden und Geld» die Rede - wie in den 1930er-Jahren. Zum Beispiel gebe es Gerüchte, weil Macron vor seiner Politkarriere bei der Bank Rothschild gearbeitet habe. Die Rothschilds sind eine bekannte jüdische Bankiersfamilie. Umfragen belegen zudem, dass mehr als jeder fünfte Franzose an eine jüdische Weltverschwörung glaubt. Besonders verbreitet sind Verschwörungstheorien unter «Gelbwesten»-Anhängern.