Franz Mazura: Ein großer Opernsänger als Dichter
Eintauchen in die Sternstunde der deutschen Literatur: Mit einer stimmungsvoll gestalteten und von zwei herausragenden Künstlern dargebotenen Lesung fügte die Einwohnergemeinschaft Hildboltsweier ihrem Veranstaltungskalender einen weiteren »Leuchtturm« hinzu.
Er war einer der ganz großen Geister, der Dichter Christoph Martin Wieland, Vorgänger und Wegbereiter, Kritiker und Freund von großen Geistern wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller oder später Heinrich von Kleist. Im Rahmen einer in dieser Form einmaligen Lesung blickte der Opernsänger und Schauspieler Franz Mazura, am Cembalo begleitet von Kristian Nyquist, durch die Augen des gealterten Wieland zurück auf seine Zeit, die großen Geistesströmungen, die in die Weimarer Klassik mündeten und nicht zuletzt die Frauen, die sein Leben prägten.
Rückblick im Jahr 1807
Sophie von La Roche, die den Dichter in jungen Jahren mit einem Kuss an einem Sommertage zu seinem Schaffen inspiriert habe, wie er meint, ist verstorben. In einer kalten Februarnacht des Jahres 1807 blickt der alte Mann hinaus ins verschneite Weimar – und zurück in sein Leben.
Franz Mazura gehört zu den das 20. Jahrhundert prägenden Opernsängern in Deutschland und ist dabei erstaunlich vielseitig. Statt vieler Stationen sei nur erwähnt, dass er sowohl in Bayreuth als auch in Salzburg viele Jahre regelmäßig auf der Opernbühne stand und, wie der Vorsitzende der Einwohnergemeinschaft Thomas Rothkegel in seiner Einführung vermutete, »wohl als einziger Mensch der Welt den König Lear sowohl als Schauspieler als auch als Opernsänger verkörpert hat«.
Der 93-jährige Franz Mazura schlüpft an diesem Abend vollkommen in die Rolle des zum Zeitpunkt seiner Lebensbilanz noch 20 Jahre jüngeren Christoph Martin Wieland. Er bringt die Melancholie zum Klingen, die den Wegbereiter der größten Sternstunden der deutschen Literatur beim Rückblick ergreift. Er versteht es auch, das Staunen auszudrücken, das den sehr bewusst wahrnehmenden und denkenden Dichters angesichts der Schnelligkeit befällt, mit der er, der »junge Wilde« und Avantgardist, sich in der Rolle des »Papa Wieland« wiederfindet, den die neuen »Stürmer und Dränger« als altmodisch belächeln.
Passende Begleitung
Am Cembalo begleitet Kristian Nyquist mit Werken von Carl Philipp Emanuel Bach, die sehr bewusst und abwechslungsreich in den Textvortrag eingeflochten werden. Mal wirkt eine ruhige Melodie als Untermalung der kalten Nachtstunde, mal betonen ganz kurze Einsprengsel besonders bewegende Passagen. Meist erklingt die Melodie, wenn der Dichter den Blick aus dem Fenster des Zimmers oder der Seele schweifen lässt, auf Nacht und Morgendämmerung, auf den Schnee da draußen oder die Erinnerung an die Sommer der Jugend.
Mit dieser stimmungsvollen Lesung ist der Einwohnergemeinschaft Hildboltsweier, namentlich Thomas Rothkegel, der die beiden Künstler nach Offenburg geholt hat, einmal mehr ein wirklich außergewöhnliches Kulturangebot gelungen. Offenburg, wahrlich nicht arm an Angeboten für jede Bühnengröße, kann auf diese kleinen, einmaligen Juwelen der klassischen Kunst und Kultur, die da im westlichsten Stadtteil funkeln, ausgesprochen stolz sein.