Kaltes Herz bei Hitze
Lea Streisand lebt seit dem Hausacher Leselenz Anfang Juli als Leselenz-Stipendiatin und Hausacher Stadtschreiberin im Molerhiisle im Breitenbach. Sie lässt jeden Mittwoch die Leser des Offenburger Tageblatts mit einem Eintrag ins »Stadtschreiber-Tagebuch« an ihrem Leben im Kinzigtal teilhaben:
Kinder, diese Hitze! Über dem Radweg nach Haslach flirrt die Luft. Tagsüber dürfen wir mit dem Baby überhaupt nicht mehr vor die Tür. Hat Paul im Internet gelesen. Weil jeder zweite UV-Strahl angeblich doch durch den Sonnenschirm durchkommt, den die Stadt Hausach uns so freundlich zur Verfügung gestellt hat.
Also sitzen wir in unserer Garage – die, wie ich jetzt erfahren habe, gar nicht die Garage, sondern das Atelier des Herrn Falk-Breitenbach war – im Schatten und jeder macht das, was er am besten kann. Paul liest, das Baby sabbert, ich schreibe. Manchmal gucken wir auch Filme. Am liebsten Horrorfilme. Vor der Tür sieht es schließlich auch aus wie am Tag nach der Apokalypse. Verwaiste Straßen, staubige Wege. Ab und zu schlurft mal ein Wesen vorbei, der Blick ist dumpf, Eis klebt am Kinn, es stinkt nach Körperflüssigkeiten.
Der erste Horrorfilm meines Lebens war »Das kalte Herz«, der Defa-Klassiker von 1950 mit dem großen Erwin Geschonneck als Holländermichel und dem schönen Lutz Moik als Kohlenmunk-Peter.
Teuerste Defa-Produktion seiner Zeit
Was für ein wunderbarer Film! Was für eine Tricktechnik! Und wie genau Regisseur Paul Verhoeven auf die Ausstattung geachtet hat! Bollenhüte, Hochzeitskronen, Flößertrachten. Das kannte ich nämlich alles schon, als ich Herrn Falk-Breitenbachs Molerhiisli das erste Mal betrat. Aus jenem DDR-Märchenfilm, den ihr armen Westler vermutlich wieder gar nicht kennt. Das ist nämlich der Unterschied. Die Leute ausm Osten kannten beide Kulturen, die Leute ausm Westen nur ihre eigene. Das ist das Blöde wenn man zu einer Leitkultur gehört. »Das kalte Herz« war die teuerste Defa-Produktion seiner Zeit, der erste Farbfilm der DDR und begründete die Tradition der Defa-Märchenfilme, zu denen auch das vermutlich sogar hier zu Weihnachten unvermeidliche »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« gehört.
Wegen dieser Kaltes-Herz- Verfilmung hatte ich schon seit frühester Kindheit Angst vor dem Schwarzwald und wollte gleichzeitig unbedingt mal hin. Also her.
Und nun bin ich hier, wo das Märchen spielt, und es ist tatsächlich so wie Wilhelm Hauff in seinem Märchenalmanach auf das Jahr 1828 für Söhne und Töchter gebildeter Stände schrieb:
»Am schönsten kleiden sich die Bewohner des badenschen Schwarzwaldes«
»Wer durch Schwaben reist, der sollte nie vergessen, auch ein wenig in den Schwarzwald hineinzuschauen; nicht der Bäume wegen, [...] sondern wegen der Leute [...]. Sie sind größer als gewöhnliche Menschen, breitschultrig, von starken Gliedern, und es ist, als ob der stärkende Duft, der morgens durch die Tannen strömt, ihnen von Jugend auf einen freieren Atem, ein klareres Auge und einen festeren, wenn auch rauheren Mut [...] gegeben hätte.«
»Am schönsten«, schreibt Hauff, »kleiden sich die Bewohner des badenschen Schwarzwaldes« und das, liebe Hausacher und Kinzigtaler, ist mir sofort aufgefallen!
Bei der Affenhitze der letzten Wochen bekommt übrigens die Vorstellung eines Kühlakkus in der Brust einen gewissen Reiz.