Steine gegen das Vergessen

(Bild 1/4) ©Christian Schellenberger
In Gedenken an das Schicksal der jüdischen Familien Rosenberg, Wertheimer und für Emmy Marx wurden gestern in einer feierlichen Zeremonie elf Stolpersteine in der Kehler Innenstadt verlegt.
In den Gesichtern der Menschen kann man lesen, wie ergriffen sie sind. Unter den Schirmen, mit denen sie sich gestern vor dem Haus Großherzog-Friedrich-Straße Nr. 5 vor dem Regen schützen, ist die Betroffenheit allgegenwärtig, als Mitarbeiter des Bauhofs dort die vier Stolpersteine für die Familie Rosenberg in die Erde einlassen. Begleitet von sanften Klarinettenklängen stellen Schüler der Tulla-Realschule und des Einstein-Gymnasiums die Biografien von Margot, Otto, Selma und Fritz Rosenberg vor. Die Klasse 10a der Realschule hatte die Patenschaft für den Stolperstein für Margot Rosenberg übernommen.
Ausgehend von ganz persönlichen Elementen des eigenen Lebens erläutern sie in szenischen Darstellungen die Lebensgeschichten der Rosenbergs. Zur Würdigung rollen die Schüler einen roten Teppich in der Straße aus und lassen symbolisch eine Filmrolle von einem Schüler zum anderen laufen.
Besonders die Angehörigen der Familie Rosenberg, die eigens aus Argentinien angereist sind, zeigten sich tief bewegt von der Zeremonie, mit der gestern das Andenken an ihre Familien wach gehalten wurde. Lilian Reitmann, die Tochter von Fritz Rosenberg, ergriff spontan das Wort. Sie richtete ihren Dank vor allem an die Schüler und sagte: »Wir sind jetzt zum dritten Mal hier und fühlen uns als Teil der Stadt.«
Es sei eine besondere Wertschätzung, dass die Angehörigen nach Kehl gekommen sind, meinte Friedrich Peter vom Historischen Verein. Peter war neben Karl Britz, Rolf Kruse und Hartmut Stüwe maßgeblich daran beteiligt, das Schicksal der Kehler Juden ans Tageslicht zu bringen. Wirkliches Gedenken sei untrennbar mit Begegnung verbunden, betonte er. Die Stolpersteine könnten deshalb ein Ort der Begegnung mit der Biografie der jüdischen Bürger sein.
Der Bezug zur Gegenwart war OB Günther Petry wichtig. Aus der traurigen Erkenntnis, nicht zu wissen, wie man sich im Nationalsozialismus verhalten hätte, könne man auch Hoffnung schöpfen. Denn man könne daraus lernen, wie man sich in einer ähnlichen Situation heute verhalten würde. Petry nahm Bezug auf die Flüchtlingsdramen vor der italienischen Insel Lampedusa. »Die Reaktionen der Politiker werfen die Frage auf, auf welcher Seite sie eigentlich stehen«, so Petry. Es sei daher wichtig, sich zu fragen: Wo stehen wir heute?
Für sie und ihre Familie sei das Schicksal ihres Vaters Fritz sehr schwierig, weshalb man kaum darüber spreche, erzählte Lilian Reitmann der Kehler Zeitung im Anschluss. »Ich habe Vieles über meine Familie erfahren, was ich vorher nicht wusste«, sagte sie. In Argentinien werde das Thema Nationalsozialismus und das Schicksal der Juden zwar recht breit diskutiert, allerdings wisse man dort kaum etwas über die Aufarbeitung, die in Deutschland betrieben werde. »Ich werde manchmal gefragt: Warum gehst du nach Deutschland, dort gibt es doch so viel Antisemitismus«, berichtet Reitmann.
Insgesamt elf Stolpersteine wurden gestern Vormittag in der Kehler Innenstadt verlegt. In der Großherzog-Friedrich-Straße 9 wurde an Hans Wertheimer erinnert, bevor der Tross in der Kasernenstraße 17 Emmy Marx und in der Schulstraße 23 Josef Wertheimer gedachte. Die Zeremonie endete schließlich in der Rheinstraße 26, wo die Steine für Jakob und Klara Wertheimer verlegt wurden. Insgesamt erinnern in Kehl nun 45 Stolpersteine an jüdische Schicksale.