Bei der Polizei in Buckeye City geht ein Schreiben ein. Der Inhalt ist nichts Geringeres als die Ankündigung einer Mordserie - und zwar an zufällig ausgewählten Opfern. «Ich werde 13 Unschuldige und einen Schuldigen töten», schreibt der Autor des Briefs, der sich «Bill Wilson» nennt. Hinter dem Namen steckt ein psychisch instabiler, trockener Alkoholiker mit einem verstörenden Bedürfnis nach Vergeltung – und einem gefährlichen Racheplan.

Kurz darauf wird eine Joggerin tot an einem Wanderweg gefunden, in ihrer Hand ein Zettel mit dem Namen einer der Geschworenen, die an der Verurteilung eines Unschuldigen beteiligt waren. Es folgt eine ganze Reihe perfider Stellvertreter-Morde.

King verzichtet auf Horror - nicht auf Abgründe

Stephen King, inzwischen 77 Jahre alt, beweist mit seinem neuen Roman «Kein Zurück» ein weiteres Mal, dass er nicht nur Horror kann, sondern auch Thriller. Ausgangspunkt ist ein Justizskandal: Ein unschuldig verurteilter Mann stirbt hinter Gittern – und ein fanatischer Unbekannter nimmt das Gesetz in die eigene Hand. Trig alias «Bill Wilson» will Unschuldige töten - für ihn ein «Akt der Sühne». Der Mann ist ein schizophrener Ex-Alkoholiker mit Minderwertigkeits- und Daddy-Komplexen. Er rutscht mit jedem Mord tiefer in Gewaltfantasien und in den Wahnsinn ab.

King verzichtet in seinem neuen Buch bewusst auf übernatürliche Elemente. Statt Geister oder Clowns geht es in dem Psycho-Krimi um Fanatismus, Schuld, Wut - und starke Frauen. Allen voran: die scharfsinnige, sozial unsichere Privatdetektivin Holly Gibney, die mit ihrer Agentur «Finders Keepers» ein weiteres Mal ermitteln muss. Während Holly fieberhaft versucht, dem Täter zuvorzukommen, schützt sie gleichzeitig eine feministische Rednerin, die von radikalen Abtreibungsgegnern bedroht wird. Unterstützung erhält sie wie gewohnt von ihren Freunden Jerome und Barbara Robinson.

Schreibschwierigkeiten für den Meisterautor

Mit über 400 Millionen verkauften Büchern zählt King zu den erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Sein Werk umfasst Romane, Kurzgeschichten, Essays – und eine beachtliche Sammlung unvergesslicher Ungeheuerlichkeiten. Und obwohl er weiterhin wahnsinnig viel schreibt, gehen ihm seine Geschichten nach eigenen Worten nicht leicht von der Feder. Er habe sich schwergetan mit seinem neuen Roman, habe diesen mehrfach umschreiben müssen, bevor er zufrieden gewesen sei, räumt King im Nachwort ein. «Beziehungsweise - ich will aufrichtig sein - zufrieden genug. Es wird nie ganz so, wie ich es mir erhoffe, aber es kommt ein Punkt, wo man loslassen muss.»

In «Kein Zurück» geht es um Schuld und Sühne, aber auch um gesellschaftskritische Themen, um Hass in sozialen Medien und Frauenrechte. Die Handlung entwickelt sich zunächst langsam, nimmt dann aber rasant an Fahrt auf und steuert auf ein düsteres Finale zu, das in einer verlassenen Eishalle gipfelt – nicht alle werden diese wieder verlassen.

Stille Heldin im Chaos

Das Buch ist auf jeden Fall ein Muss für Fans der Holly-Gibney-Reihe. King bleibt seiner Ermittlerin treu und lässt sie mit jedem Buch weiter wachsen. Genauso verletzlich wie scharfsinnig ist Holly zu einer der vielschichtigsten Figuren in Kings Werk geworden - eine stille Heldin im Sturm, mit liebenswerten Schwächen.

Kings neuer Roman ist aber nichts für Gruselfans, die sich gerne an blutrünstigen Clowns oder Indianer-Friedhöfen erschauern. Aber wer King mal jenseits des Horrors kennenlernen mag und gerne spannungsgeladene Krimis liest, für den heißt es schon nach wenigen Seiten vermutlich auch: «Kein Zurück».

dpa