Ortenauer CDU-Abgeordnete gegen frühe Festlegung
Die Ortenauer CDU-Abgeordneten sind offen für eine Regierung mit SPD und FDP, aber auch für Grün-Schwarz unter Winfried Kretschmann. Diese Konstellation bevorzugt der grüne Thomas Marwein.
Die Gefühlslage der alten und neuen Ortenauer Landtagsabgeordneten war auch heute, einen Tag nach der Wahl, höchst unterschiedlich. Die Grünen Thomas Marwein (Wahlkreis Offenburg) und Sandra Boser (Lahr/Wolfach) bleiben im Landtag – diesmal errangen sie sogar Direktmandate (mit 33,7 bzw. 30,7 Prozent). Marwein war nach eigener Aussage heute immer noch »von den Socken«: »Dass ich gegenüber der letzten Wahl die 15 Prozent Rückstand auf Volker Schebesta aufgeholt habe und jetzt sogar etwa fünf Prozent vor ihm liege, macht mich fast sprachlos.«
Marwein favorisiert jetzt eine grün-schwarze Koalition: »Damit kann ich mich anfreunden, und es ist das einzig Realistische.« Denn eine Regierung aus Grünen, SPD und FDP hätte nur sechs Sitze mehr als für die absolute Mehrheit erforderlich: »Sich in einer Dreierkonstellation fünf Jahre lang einig zu sein, ist schwierig«, so Marwein im Gespräch mit der Mittelbadischen Presse. Notwendig sei ein »Koalitionsvertrag der Mitte«, ohne Unverträglichkeiten für Grüne oder CDU. Marwein denkt auch bereits an die Bundestagswahl in eineinhalb Jahren, bei der für ihn Schwarz-Grün ebenfalls eine Option sein könnte.
Boser zurückhaltend
Die Grünen wollen morgen ihre Sondierungsgespräche mit den drei möglichen Koalitionspartnern beginnen. Sandra Boser, derzeit eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, mochte keine bevorzugte Koalition nennen, sagte nur: »Es ist unser Anliegen, das Wählervotum umzusetzen – dass Winfried Kretschmann weitermachen kann. Die Bürger wollen ihn als Ministerpräsidenten.« Sie freute sich heute über das »großartige Ergebnis« der Grünen, das eine Bestätigung der Arbeit in den vergangenen fünf Jahren sei.
Anders die Gefühlslage in der CDU. Marion Gentges aus Zell a. H., die ab sofort für die Christdemokraten in der Nachfolge von Helmut Rau den Wahlkreis Lahr vertritt, zeigte sich zwar erleichtert, dass es für sie mit dem Zweitmandat geklappt hat (28 Prozent), »aber mit dem historisch schlechten CDU-Ergebnis insgesamt sind wir nicht glücklich«. Sie sagte heute, das Abschneiden der AfD in ihrem Wahlkreis (15 Prozent) gebe Anlass zu Sorge und Nachdenklichkeit.
Über ihre mögliche Rolle in der CDU-Fraktion wollte die Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht heute nicht spekulieren. Gentges sprach sich dafür aus, bezüglich möglicher Koalitionen mit CDU-Beteiligung in beide Richtungen zu sondieren, also sowohl Grün-Schwarz unter Winfried Kretschmann als auch Schwarz-Rot-Gelb, die »Deutschland-Koalition« unter Gudio Wolf, nicht auszuschließen.
Ins gleiche Horn bläst ihr Parteikollege Volker Schebesta: »Wir werden mit allen Parteien reden, die im Landtag vertreten sind, und da, wo wir am meisten CDU-Politik umsetzen können, werden wir versuchen, eine Regierung zu bilden«, sagte der Jurist aus Offenburg, der mit 28,4 Prozent der Stimmen ein Zweitmandat errang, der Mittelbadischen Presse.
Sehr unzufrieden
Bei den drei vorangegangenen Landtagswahlen hatte Schebesta mit Ergebnissen zwischen 41,5 und 50,5 Prozent das Direktmandat gewonnen. Auf die Frage, ob sich seine Enttäuschung vom Wahlabend gelegt habe, sagte Schebesta: »Das Ergebnis der CDU und mein Ergebnis sind nicht zufriedenstellend, und die gestrigen Ergebnisse werden auch in viereinhalb Jahren nicht zufriedenstellend sein.« Willi Stächele (CDU), der sein Direktmandat im Wahlkreis Kehl mit 30,8 Prozent knapp verteidigte, war heute nicht zu erreichen.
Neben Gentges ist auch der AfD-Politiker Stefan Räpple neu in den Landtag eingezogen. Er war in den Landkreisen Offenburg und Kehl angetreten; in Letzterem reichten die 15 Prozent für ein Zweitmandat. Damit gerechnet habe er nicht, so Räpple, denn bei der Europawahl 2014 sei das AfD-Ergebnis in Kehl nicht so gut gewesen. Das AfD-Landesergebnis von 15,1 Prozent »aus dem Stand« bezeichnet Räpple als »Sensation«, die mit dem »richtig guten Wahlprogramm« der AfD zu tun habe und mit dem »Totalversagen der alten Parteien«.
Welche der möglichen Regierungskoalitionen letztlich ins Amt kommt, ist Räpple egal. »Wir werden eine starke Opposition sein«, sagte Räpple, der in Freiburg und Bad Peterstal lebt und arbeitet. Sein eigenes Betätigungsfeld sieht der frühere Konditor und jetzige Inhaber zweier Hypnosepraxen eindeutig in der Bildungspolitik: »Ich möchte die Lehrerausbildung verbessern.« Er selbst habe ein Lehramtsstudium, trotz Stipendiums, abgebrochen – unter anderem, »weil ich die vermittelten Inhalte nicht mittragen konnte«. Räpple sagte, er wolle einen Teil seines Abgeordnetengehalts spenden, »um den Steuerzahlern etwas zurückzugeben«. Zu diesem Zweck will er eine Stiftung gründen, die für die Einzahlungen von Politikern aller Parteien offen sein soll.
»Keine Relevanz«
Auch zu einem Bericht der linksorientierten Zeitung taz äußerte sich Räpple gegenüber der Mittelbadischen Presse. Die taz hatte geschrieben, Räpple sei ein Anhänger der rechtsextremen und von einigen Verfassungsschutzämtern beobachteten Identitären Bewegung (IB) und habe daran mitgearbeitet, dass die IB die Jugendorganisation der baden-württembergischen AfD unter ihre Kontrolle bringt. E-Mails, die das Ganze laut taz-Recherchen beweisen, müssen gefälscht sein, sagt Räpple. »Ich weiß nicht mal, was die IB macht. Was soll ich mit einer Internetgruppe machen, die keine gesellschaftliche Relevanz hat?«