Biochip statt Tierversuch
Nach Nordrhein-Westfalen werden in Deutschland in Baden-Württemberg die meisten Tierversuche gemacht. Als eine »völlig überholte Art der Forschung« bezeichnet Corina Gericke diese Tierversuche. Die Tierärztin kritisiert die Vorwände der Forscher und die Macht der Lobby.
Nach Nordrhein-Westfalen werden in Deutschland in Baden-Württemberg die meisten Tierversuche gemacht. Warum ist das so?
Corina Gericke: Die meisten Tierversuche werden in Deutschland an Univer+sitäten gemacht. In Baden-Württemberg sind das die Universitäten Heidelberg, Mannheim, Ulm, Freiburg und Tübingen, die leider als Tierversuchs-Hochburgen bezeichnet werden können.
2012 wurden laut Statistik des Bundesagrarministeriums in Deutschland mehr als drei Millionen Tiere für Tierversuche benutzt....
Gericke: Jedes einzelne Tier davon unnötig. Es gibt keinen einzigen Tierversuch, der notwendig ist. Tierversuche sind eine Methode aus dem vorletzten Jahrhundert, die in unserem modernen Zeitalter keinen Platz mehr haben darf. Wir schicken in Sekundenbruchteilen riesige Datenmengen um den Globus und steuern ein Mobil auf dem Mars, aber wenn wir etwas über eine Krankheit beim Menschen wissen wollen, setzen wir Tiere dafür ein – das ist eine völlig überholte Art der Forschung. Sie gehört abgeschafft.
Aktuelles Beispiel in der Debatte um Tierversuche sind die bekannt gewordenen Missstände im Tübinger Max-Planck-Institut. Die Hirnforschung an Rhesusaffen läuft dort unter dem Begriff der Grundlagenforschung...
Gericke: Grundlagenforschung wie sie in Tübingen betrieben wird, dient allein dazu, den Forscherdrang und die Neugier einzelner Personen zu befriedigen. Die angebliche Notwendigkeit, mit solchen Versuchen könne Parkinson oder Alzheimer beim Menschen erforscht werden, ist vorgeschoben, um solche Versuche in der Öffentlichkeit salonfähig zu machen und die Genehmigung dafür zu bekommen. Dabei geht es nur darum, herauszufinden, was im Gehirn von Affen passiert, wenn sie Bilder betrachten oder Punkte zählen. Das bedeutet: Der Nutzen für den Menschen ist gleich Null und das Leid der Tiere ist immens. Solche Versuche müssen konsequent verboten werden. Das Affenhirn entspricht nicht dem Menschenhirn. Die einzigen Personen, die davon profitieren, sind die Forscher.
Inwiefern?
Gericke: Sie schreiben Artikel, die in Fachzeitschriften veröffentlicht werden. In den Texten geht es dann darum, was in einem Affenhirn passiert. Ob und wie das einen Nutzen für den Menschen hat, ist irrelevant. Die Forscher machen sich dadurch auf ihrem Gebiet einen Namen und streichen für ihre langen Listen an Publikationen Fördergelder ein, mit denen sie neue Tierversuche machen können – ein Teufelskreis.
Versuche, wie sie mit Affen in Tübingen gemacht werden, wurden in Berlin und München nicht genehmigt. Warum ist es so schwer, ein bundesweites Verbot durchzusetzen?
Gericke: Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren die Tierversuchsrichtlinie aus dem Jahr 1986 überarbeitet. In den fünf, sechs Jahren, in denen das Gesetz durch alle EU-Gremien ging, haben wir natürlich versucht, das Beste für die Tiere herauszuholen. Die Tierversuchslobby hat allerdings eine ganz andere Macht und malt Schreckensszenarien, wie jenes, dass die medizinische Forschung zum Stillstand kommt, wenn Tierversuche reglementiert werden. Auch die Bundesregierung hat maßgeblich dazu beigetragen, das Gesetz zu verschlechtern, sodass letztlich nicht einmal Minimalforderungen durchgekommen sind. Das Gesetz wurde in deutsches Recht überführt. Selbst die winzigsten Spielräume sind nicht umgesetzt worden. Nach EU-Vorgabe sollte es eine Obergrenze für Schmerzen, Leiden und Ängste geben, die in wissenschaftlichen Verfahren nicht überschritten werden darf. Damit hätten Tierversuche mit dem Schweregrad »schwer« nicht mehr genehmigt werden dürfen. Die Bundesregierung hat jedoch von der Möglichkeit der Verschärfung des Tierschutzrechts keinen Gebrauch gemacht. Diese Entscheidung macht deutlich, wie die Lobby von Tierversuchsbefürwortern Politik und Gesetzgebung maßgeblich beeinflusst.
Damit Versuche, wie sie in Tübingen gemacht werden, genehmigt werden, reicht es also zu behaupten, dass durch diese Versuche irgendwann Krankheiten wie Parkinson geheilt werden können?
Gericke: Das ist leider das, was die Tierversuchslobbyisten sehr gut können: Sie behaupten einfach, dass sie durch diese Versuche das Gehirn besser verstehen und dadurch irgendwann beispielsweise Parkinson heilen können. Sie stellen einen Nutzen in ferner Zukunft in Aussicht, der nicht nachprüfbar ist. Meiner Ansicht nach ist die Wahrscheinlichkeit dafür gleich Null, weil die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Tiere und Menschen unterscheiden sich nun einmal so stark voneinander, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen nicht auf den Menschen übertragen werden können.
Das heißt, die Forscher müssen den angeblichen Grund für ihre Versuche nicht einmal beweisen?
Gericke: Nein. Sie müssen nur wissenschaftlich darlegen, dass ihr Versuch unerlässlich ist und dass es keine Alternativen gibt. So liegt die Ablehnungsquote bei unter einem Prozent. Zudem ist so ein Genehmigungsverfahren immer streng geheim. Die Versuche werden übrigens großenteils mit unseren Steuergeldern finanziert, aber die Öffentlichkeit bekommt keinen Einblick.
Oft behaupten die Befürworter von Tierversuchen, dass die Versuche nötig seien, weil es keine Alternativen gibt...
Gericke: Doch, es gibt Alternativen, Biochips sind eine davon. Auf diesen Chips, die etwa so groß wie die Speicherkarte einer Digitalkamera sind, befinden sich Zellen, mit denen die Wirkung von Substanzen getestet werden kann. Das Verfahren ist erprobt und funktioniert. Die menschlichen Zellen stammen von Operationen, bei denen Gewebe abfällt. Dank automatisierter Abläufe lassen sich große Mengen an Substanzen in kürzester Zeit messen und das zuverlässig, preisgünstig und schnell. Bei menschlichen Zellen ist die Situation auf den Menschen übertragbar. Also genau das Gegenteil von Tierversuchen, die aufwendig, langwierig, schlecht reproduzier- und übertragbar sind. Mittlerweile gibt es bereits eine ganze Palette solcher Labor-auf-einem- Chip genannten Systeme für Haut, Leber, Lunge, Nervenzellen und sogar kombiniert als eine Art Mini-Organismus.
Die viel bessere Übertragbarkeit auf den Menschen muss die Pharmaindustrie doch von solchen Methoden überzeugen oder nicht?
Gericke: Die Pharmaindustrie ist schon an solchen alternativen Methoden interessiert. Wenn Unsummen in die Entwicklung von Medikamenten gesteckt werden, die Medikamente aber letztlich doch nicht zugelassen werden, weil beim Menschen Nebenwirkungen auftreten, die es bei Tierversuchen nicht gab, dann bedeutet das für die Pharmaindustrie enorme finanzielle Verluste.
Da gibt es ja einige Beispiele...
Gericke: Nach dem Fall Contergan wurde festgeschrieben, dass Medikamente auch an schwangeren Tieren getestet werden müssen. Dennoch gibt es Medikamente, die nach der Einführung der routinemäßigen Tests an schwangeren Tieren zu Missbildungen beim Menschen geführt haben. Beispielsweise das Aknemittel Isotretinoin und das Schwangerschaftstestmittel Duogynon, das auch zur Behandlung von Menstruationsstörungen eingesetzt wurde. Unsere Forderung Tierversuche abzuschaffen und die Forschung für alternative Methoden zu fördern, beinhaltet deshalb auch die Forderung nach einer besseren Medizin für den Menschen. Dabei geht es auch um die Frage, wie wir Krankheiten vorbeugen können und welche Rolle Umwelteinflüsse bei der Entstehung von Krankheiten spielen. Um diese Fragen beantworten zu können, nützt es beispielsweise nichts, Mäuse künstlich an Diabetes erkranken zu lassen. Dann gibt es zwar einen Faktor, nämlich die Krankheit, aber alle anderen Faktoren, wie das Leben in einem sterilen Labor, haben nichts mit der Lebenswirklichkeit des Menschen zu tun. Und es bleibt dabei: Mäuse sind keine Menschen.
Hier gibt es die Seite mit dem Interview als PDF-Datei.
Ärzte gegen Tierversuche e.V.
Ärzte gegen Tierversuche e. V. ist eine Vereinigung von mehreren Hundert Ärzten, Tierärzten sowie im medizinischen Bereich tätigen Naturwissenschaftlern und Psychologen und besteht seit 1979. Unter dem Motto »Medizinischer Fortschritt ist wichtig – Tierversuche sind der falsche Weg!« setzt sich der Verein Ärzte gegen Tierversuche für eine tierversuchsfreie Medizin ein, bei der Ursachenforschung und Vorbeugung von Krankheiten sowie der Einsatz von modernen Forschungsmethoden, beispielsweise mit menschlichen Zellkulturen, im Vordergrund stehen. Ziel ist die Abschaffung aller Tierversuche und damit eine ethisch vertretbare, am Menschen orientierte Medizin – eine Wissenschaft, die durch moderne, tierversuchsfreie Testmethoden zu relevanten Ergebnissen gelangt.