Störungen ergeben die neue Ästhetik
Aha-Erlebnisse gibt es längst nicht nur in der wissenschaftlichen Forschung. Auch die künstlerische Bearbeitung kann ungeahnte und wertvolle Erkenntnisse zutage fördern. An dieser Vorgehensweise, wie man sie beispielsweise von Leonardo da Vinci kennt, orientiert sich die künstlerische Forschung.
Die Bewegung reicht in die 1960er-Jahre zurück«, sagt Daniel Fetzner. Über die »Art and Technology«-Szene in den USA entdeckte ein Teil der Kunstszene die Wissenschaft neu. Zuzeiten von Leonardo da Vinci sei das Forschen von Künstlern noch eine Selbstverständlichkeit gewesen, mit der Gründung von Universitäten und Akademien wurden die Disziplinen getrennt, erklärt der Professor für Gestaltung. Wenn er jetzt seine Studierenden mit der Methode vertraut macht, sind viele überrascht. »Das ist nicht einfach zu vermitteln«, sagt er. »Auch innerhalb der Kunst wird über den Ansatz der künstlerischen Forschung kontrovers diskutiert.«
»Aber die Methode findet langsam auch an unserer Medienfakultät ihren Platz«, freut sich Fetzner. Nicht zuletzt, weil es schon erste Beispiele gibt. Die sogenannte »virale Kunst« hatte bereits bei den beiden Werkschauen in diesem Jahr ihren Auftritt. »Parasit« hieß die erste Reaktionskette, in der aus Licht Töne, aus Tönen Bewegung und aus Bewegung ein weiterer Reiz wurde. Parasit, betont Fetzner, ist dabei nicht nur negativ gemeint: »Es ist zunächst eine Störung der Funktionsabläufe, die dann aber neue Wahrnehmungsweisen hervorbringt.« Ähnlich, wie wenn man einen großen Stein in den Fluss legt und sich dann das Wasser eine neue Bahn sucht.
Das zweite Projekt trug, mit Bezug auf den Umbau der Mensa, den Titel »Baustelle«. Und auf den ersten Blick sah es auch wie eine aus. Wer dem Bauarbeiter die Hand drückte, setzte einen alten Nadeldrucker, eine E-Gitarre, einen Mini-Brunnen und weitere Reaktionen in Gang. An den fünf Stationen entstand »eine Maschine, die keiner mehr richtig unter Kontrolle hat«. »Wir haben das gefilmt und können es jetzt besprechen«, sagt Fetzner. Im Vordergrund steht bei solchen Experimenten zunächst die Freude am Gelingen. »Die Studierenden sind stolz, wenn sich die Besucher dem Aufbau neugierig nähern und Fragen stellen.«
Längst im Alltag: Vor zehn Jahren hat Fetzner noch überwiegend im Hightech-Labor geforscht. »Virale Installationen« sind allerdings längst zum Beispiel in Form von Smartphones in den Alltag eingedrungen. »Mit diesen Geräten managen wir mittlerweile ganz selbstverständlich unsere Beziehung zur Welt«, erklärt der Professor. Und das in den unmöglichsten Situationen, die alles andere als störungsfrei sind. »Die Medienökologie ist eine Disziplin, die sich mit dem Rauschen in dieser Beziehung beschäftigt«, so Fetzner.
Am Ende der Reaktionskette »ahnen die Studierenden, was ihnen diese Aufgabe gebracht hat«, so Fetzner. Obwohl es für einige nicht leicht war, sich auf die Sache einzulassen.
Eine wichtige Erkenntnis haben sie hoffentlich mitgenommen: »Wir leben in einer hoch komplexen Welt, in der keiner mehr durchblickt, aber: An irgendeiner Stelle anfangen und konzentriert ohne Angst vor Fehlern loslegen.« Dieses Grundgefühl will die Veranstaltung vermitteln. Sozusagen das didaktische Moment.