Gedenkrede am Volkstrauertag in Lahr
Reicht es, sich an vergangene Weltkriege, deren Geschichte von Tod, Vertreibung und Flucht zu erinnern, um sich für den Frieden einzusetzen? Das war die zentrale Frage der Gedenkrede von Bürgermeister Tilman Petters am Sonntagmorgen im Lahrer Pflugsaal. Das Gedenken am Volkstrauertag musste sich zwangsläufig dem aktuellen Geschehen zuwenden.
Petters formulierte es so: »Krieg, Flucht und Vertreibung, die solange ein historisches Thema waren, besitzen jetzt eine ungeahnte Aktualität. Seit Langem schon ist der Volkstrauertag in Deutschland keine nationale Nabelschau mehr, sondern der Versuch, Krieg, Gewalt und Vertreibung weltweit zu thematisieren.« Petters erinnerte auch an den jüngsten Terroranschlag in Paris. Das Weltgeschehen sei umso beklemmender, »weil es unseren nächsten Nachbarn im Herzen Europas in Paris ganz aktuell erschüttert.« Aus diesem Grund fiel die Gestaltung des Gedenkens etwas anders aus als bisher.
Theaterstück als Anstoß
Die evangelische Jugend Lahr brachte ein Theaterstück auf die Bühne: »Flugmodus AN – Ein Theaterstück über Krieg und Frieden, Drinnen und Draußen.« Der Titel ist sperrig, die Funktion allerdings klar: Es sollte ein Anstoß für den Umgang mit dem Tagesgeschehen sein unter dem Blickwinkel der christlich-zivilen Grundwerte. Und zwar direkt vor der eigenen Haustür. Orientiert am Gleichnis der fünf klugen und der fünf törichten Jungfrauen, ging es gleich mitten ins aktuelle Geschehen:
Ein Schüler muss sich fragen, wie er mit einem geplanten rechtspopulistischen Auflauf vor dem Flüchtlingsheim seines Heimatortes umgeht. Hinschauen – wegschauen? Mit Baseballschlägern in der Hand eine Gegendemo organisieren? Wie mit den eigenen – höchst gemischten – Gefühlen umgehen? Diese werden in Persona von weiteren Darstellern der evangelischen Jugend verkörpert: Mut, Enttäuschung, Ehrgeiz und Macht heißen sie. Sie kommen hervor und verschwinden hinter der Tür des »Monsterkäfigs«. Sie sind für uns alle gefährlich. Und das führten die Jugendlichen unter der Leitung von Andrea Ziegler, Lisa Lüdemann und Anna Lohf den Besuchern mit erstaunlicher Schärfe vor Augen. Im Zusammenspiel mit der Macht wird aus Ehrgeiz Erfolgszwang im Kapitalismus – ein Zwang, der die Menschen unfähig macht zum Teilen und zum Mitgefühl. Aus Wut wird Hass. Die Enttäuschung vergräbt sich ganz. Die Macht instrumentalisiert jedes Gefühl. Der Protagonist droht erdrückt zu werden vor den Entsetzlichkeiten die das Fernsehen ihm kredenzt.
Einen Spaltbreit öffnen
Diese sind auch für das reale Publikum schwer verdaulich: Es läuft das Video des Sängers »Sid«, mit dem Titel »Ich heb’ ab«. Schreckensbilder – und danach ein Plädoyer, dass sich einsetzt für ein friedliches Engagement gegen Hass, Gewalt und Krieg. Im Theaterstück bringt allein die Liebe es fertig, die »Monsteremotionen« zu meistern und zu verwandeln. Der Schüler öffnet die Tür zu Frieden und Gerechtigkeit – wenigstens einen Spaltbreit.
Man kann sagen: Dieses Jahr war der Volkstrauertag ein Aufruf dazu dasselbe zu tun. Dass das geht hat die jüngste, friedliche und bunte Demonstration gegen den NPD-Stand mitten auf dem Sonnenplatz auf das Beste bewiesen.
Schade nur, dass am Volkstrauertag selbst, weit weniger Bürger den Weg in den Pflugsaal gefunden haben.