Karl-Heinz Ott stellt neuen Roman »Auferstehung« vor
Im Rahmen der Offenburger Literaturtage »Wortspiel« stellen wir Autoren und ihre Bücher vor. Karl-Heinz Ott ist in der Ortenau kein Unbekannter, 2012 stellte er »Wintzenried« vor. In diesem Jahr ist er mit dem großartigen und bizarren Roman »Auferstehung« zu Gast.
Eine so skurrile Geschichte kann doch eigentlich nur das echte Leben schreiben – ohne Ihnen die Fantasie absprechen zu wollen.
Karl-Heinz Ott: Die Figuren in meinem Roman gibt es auf die eine oder andere Weise im Leben zuhauf, wenn auch nicht eins zu eins. Ich habe mich an einem kleinen Panorama von Post-68ern versucht, das natürlich nicht das gesamte Spektrum umfasst, aber vom Alternativen über den Adorniten bis zum marxistischen Maulhelden und zur avantgardistischen Kunststudentin, die den tradierten Kunstbegriff auflösen will, einiges abdeckt. Von großem Erfolg gekrönt sind diese Leute alle nicht, zumindest nicht im bürgerlichen Sinn. Das Leben um sie herum hat sich im Lauf der Jahrzehnte gewaltig verändert, manche blieben dabei auf der Strecke.
So witzig und kurios die Geschichte ist, so ernst ist sie auch: Entmündigungsversuche, das Beschimpfen der Haushälterin als »ungarische Hure«, die Geldgier, die fast schon kriminelle Energie. Haben Sie bewusst übertrieben – oder ist das traurige Realität?
Ott: Wenn es um Erbschaftsfragen geht, kann man nur schwer übertreiben. Da schreibt das Leben spannendere Geschichten als die Literatur. Wer von entsprechenden Familienzerwürfnissen noch nie etwas gehört hat, muss nur mit einem Notar oder Rechtsanwalt plaudern, um eine Ahnung von solchen Katastrophen zu kriegen.
Wenn ich den Roman nun richtig verstanden habe, geht es um ganz grundlegende soziale Probleme: die Frage nach der Würde im Alter und das Recht auf Selbstbestimmung, der Umgang mit pflegebedürftigen Menschen (der an Parkinson erkrankte Vater), aber auch die soziale Situation einer bestimmten Generation. Warum waren/sind das für Sie Themen? Sie sind Jahrgang 1957.
Ott: Es sind meine Themen, weil ich in den 70er-Jahren aufs Gymnasium gegangen bin und zur sogenannten Erbengeneration gehöre, die sich dadurch auszeichnet, dass man den Eltern eins auf die Mütze gegeben hat, weil sie bei den Nazis nicht im Widerstand waren und nach dem Krieg nur ans Schaffen und Häuslebauen gedacht haben. Diese Kritik konnten die Kinder sich aber umso leichter leisten, als sie in der heimlichen Hoffnung lebten, dass für sie selbst genügend übrigbleibt, auch wenn sie den Kapitalismus abschaffen und nie bürgerlich leben wollten. Was den Vater angeht, so hat sich bei ihm aufgrund der Medikamente, die er wegen seiner Parkinsonkrankheit braucht, im Alter ein bis dahin nie gekannter Sexualtrieb entwickelt, was die gleichen Kinder ganz entsetzlich finden, die in ihrer Jugend die sexuelle Befreiung gepredigt haben.
Sie lassen kein gutes Haar an den Protagonisten. Hätte da nicht wenigstens ein Normalo in der Runde sein können?
Ott: Meine Figuren haben sich im Lauf ihrer Geschichte unfreiwillig zu Gestalten entwickelt, die wegen ihrer früheren Ideale etwas zunehmend Groteskes besitzen. Aber ich zeichne sie nicht lieblos, wie ich finde. Sie haben ihre Marotten und Macken, und manche halten auch noch stoisch an ihren alten Weltbildern fest, aber was wären sie ohne all das? Mit totalen Normalos – aber wo gibt es die überhaupt? – lässt sich kein Roman füllen.
Warum ist eigentlich ausgerechnet die Tochter die Einzige, die einigermaßen erfolgreich ist – oder zumindest ihr Auskommen hat. Wobei sie schrecklich unsympathisch ist.
Ott: Ist sie nur unsympathisch? Immerhin sorgt sie als Einzige dafür, dass der Laden halbwegs zusammengehalten wird, während ihre Brüder nur ihre eigenen Wege gehen. Von früh an musste sie sich gegen diese Buben und Männer durchsetzen, und das hat sie geschafft. Statt weltanschauliche Phrasen von sich zu geben, wollte sie Erfolg haben.
Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Sie einen Heidenspaß hatten, diese Kinder zu skizzieren und zappeln zu lassen bezüglich des Testamentes.
Ott: Die Wirklichkeit liefert in diesem Fall so viel Stoff, dass man nicht lange auf Einfälle warten muss. Und weil ich früh wusste, wie der Roman endet, konnte ich auch relativ locker die Fäden spannen.
Auch das keine unbekannte Situation: die Kinder akzeptieren nicht, dass der Vater sich eine neue Freundin gesucht hat. Die Art, wie sie reden, ist schon unterste Schublade. Warum gönnt man den alten Menschen diesen zweiten Frühling so selten? Der Vater sagt an einer Stelle: »Jetzt bin ich dran«. Klingt irgendwie traurig.
Ott: Die Kinder würden ihm durchaus einen zweiten Frühling gönnen, wenn damit nicht das Erbe in Gefahr wäre. So einfach ist das. Es geht nicht um Moral, sondern um Eigennutz.
Die andere nicht ganz unbekannte Situation: Das Warten aufs Erbe, damit man sich sanieren kann. Wollten Sie dieser Generation einen Spiegel vorhalten? Aber sind die Eltern nicht selber schuld, dass sich die Kinder auf sie und ihr Geld verlassen? Ich habe oft genug zu hören bekommen: dir soll es mal besser gehen …
Ott: Es spricht ja nicht gegen die Eltern, dass sie ihren Kindern ein besseres Leben wünschten. Wer wie sie noch die Nazizeit und den Krieg miterlebt hat, konnte ja nicht ernsthaft an etwas anderes denken als ans Aufbauen. Die Wohlstandskinder konnten es sich leisten, als Hippies, Alternative und Marxisten den Kapitalismus zu verdammen. Die Kinder der 68er wiederum fanden den Lebensstil ihrer Eltern nicht selten schwer erträglich und fanden es schick, Karriere zu machen und ins Fitnessstudio zu gehen.
Als der Anwalt kommt, erfahren die Kinder nichts Genaues über das Testament, doch die Sache sieht nicht gut aus. Und dann gibt es noch eine große Überraschung, die wir nicht verraten wollen.
Ott: Man muss wissen, dass die Tochter Linda vor langer Zeit mit diesem Anwalt liiert war, er sie aber auf schäbige Weise wegen einer anderen sitzen ließ. Und nun denken die Kinder, er sei Linda noch etwas schuldig, dass man mit ihm zusammen notfalls das Testament vernichtet. Doch der Anwalt erklärt ihnen, dass allein der Notar befugt ist, das Testament zu eröffnen. Und dann passiert in der Tat noch etwas nahezu Übernatürliches.
Zur Person: Karl-Heinz Ott
Karl-Heinz Ott ist Schriftsteller und Übersetzer, 1957 in Ehringen geboren. Er studierte Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaft, schreibt Romane, Theaterstücke, Essays und Bühnenbearbeitungen. 2011 erschien sein Roman »Wintzenried« über den Philosophen Jean-Jacques Rousseau. Für »Endlich Stille« (2005) erhielt er unter anderem den Alemannischen Literaturpreis. Zuletzt wurde er mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis (2012) und dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2014) ausgezeichnet.
Lesung
Karl-Heinz Ott, Auferstehung, Hanser-Verlag 2016, 22,90 Euro.
Lesung: Donnerstag, 14. April, 20 Uhr, Buchhandlung Roth, Hauptstraße Offenburg. Karten: Buchhandlung Roth, Abendkasse.