Oper von Kurt Weill

In »Street scene« sind die Helden amerikanische Kleinbürger

Jürgen Haberer
Lesezeit 3 Minuten
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26. März 2016
Klatsch und Tratsch vorm Mietshaus in Manhattan: Szene aus »Street scene«.

Klatsch und Tratsch vorm Mietshaus in Manhattan: Szene aus »Street scene«. ©Jürgen Haberer

Das Theater Pforzheim kann mit »Street scene«, einer in Deutschland wenig bekannten Oper von Kurt Weill, durchaus punkten. Das Echo beim Lahrer Publikum fiel am Dienstagabend trotzdem unterschiedlich aus. Manch einer störte sich an der epischen Darstellung des kleinbürgerlichen US-Alltags.

Die Inszenierung von »Street scene« unter der Regie von Intendant Thomas Münstermann wirkte ausgereift, setzte am Ende des ersten Aktes, vor allem aber nach der Pause, eine ganze Reihe pfiffiger, zum Teil hoch dramatischer Akzente. Das Orchester unter der Leitung von Mino Marani wirbelte Musical, Swing und Jazzriffs lustvoll durcheinander. Der Chor und die Solisten des 35 Köpfe zählenden Bühnenensembles glänzten mit einer ausgewogenen Gesamtleistung. Probleme offenbarten sich nur in den Sprechpassagen, in denen das Orchester die Akteure übertönte. 
Der eine oder andere Zuschauer beendete den Opernabend trotzdem zur Pause nach knapp eineinhalb Stunden. Kurt Weills amerikanische Oper, 1947 in New York uraufgeführt, schwelgte bis dahin einfach zu sehr in den gängigen Mustern amerikanischer Musicalproduktionen, tauchte viel zu tief und episch in den Mief und die Klischees eines kleinbürgerlichen Alltags in einer amerikanischen Großstadt der Nachkriegsära ein. Vordergründig drehte sich bis zur Pause tatsächlich alles um den Tratsch und Klatsch auf der Straße vor der Kulisse eines Mietshauses in Manhattan. Die Alltagssorgen der kleinen Leute vermischten sich mit Belanglosigkeiten. 
Für Schwung sorgten allenfalls das an eine Arie von Giuseppe Verdi erinnernde Loblied auf italienische Eiscreme, die Tanzeinlage eines Paares, das zu nächtlicher Stunde lüstern die Straßenlaternen umkreiste. 

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Herr im Haus

Nur ganz selten blitzten tiefer schürfende Ansätze auf, zeigten sich gesellschaftliche Themen in den Dialogen. Wo immer sie auftauchten, meldete sich sofort der amerikanische Geist jener Zeit: Der Nachbar muss ein Kommunist sein, wenn er von einer anderen Welt träumt. Der Herr im Hause ist stets der Mann, die Frau hat sich um die Kinder zu kümmern und ansonsten nichts zu sagen. 
Genau hier entwickelte sich im Laufe der Aufführung aber ein zweiter, lange eher beiläufig erzählter Handlungsstrang, der nach der Pause in dramatischen Szenen explodierte. Frank Murrant (Cornelius Burger) ist ein echter Familiendespot, der seinen Willen mit eiserner Faust durchsetzt. Seine Frau Anna (Anna-Maria Kalesidis) ist von der Ehe tief enttäuscht. Auch Tochter Rose (Natsha Young) und der kleine Willie (Edgar Maurer) leiden unter seinen Ausbrüchen. Anna hat eine Affäre, über die sich die Nachbarn das Maul zerreißen, Rose bandelt mit Sam (Johannes Strauß) an, dem als Bücherwurm verschrienen Sohn des jüdischen Nachbarn. Frank und Anna streiten sich, unmittelbar bevor er eine Dienstreise antritt. Er kommt wenig später zurück und erschießt sie und ihren Liebhaber. Alle sind entsetzt, die Szene endet in einer beeindruckenden Choreinlage.Als Frank von der Polizei geschnappt wird, rechtfertigt er seine Tat mit der Liebe zu seiner Frau. 
Der zweite Akt zeigte so auch auf, wie die bürgerliche Scheinidylle, die Illusion zerbricht. Er setzte eine ganze Reihe szenischer Glanzpunkte, sorgte dafür, dass die dahinplätschernde Oper doch noch Fahrt aufnehmen konnte.
Trotzdem folgt »Street scene« bis zum Schluss typisch amerikanischen Mustern und den Erfolgsrezepten des Broadway. Dieser Ansatz hat sicherlich mit dazu beigetragen, dass sie in Deutschland nie an den Publikumserfolg in Amerika anknüpfen konnte

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